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„Heimstatt des Friedens und der Freiheit“ – Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg, Teil 2

Brief von Stefan Zweig an Legationssekretär von Hevesy.
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Archivale des Monats Dezember 2021

Als Mitglied der Literarischen Gruppe des Kriegsarchivs reiste Stefan Zweig im November 1917 in die Schweiz, um dort die Uraufführung seines Stückes Jeremias im Züricher Stadttheater zu besuchen und eine der Schweiz gewidmete Sondernummer der Zeitschrift Donauland zu bewerben. Die ursprünglich nur für zwei Monate (von 5. November bis 5. Jänner) gewährte Enthebung wurde zu einem längeren Aufenthalt in einem „Stück deutscher Erde, dem die Gnade gewährt war, sich abseits halten zu dürfen, ein demokratisches Land, wo das Wort noch frei, die Gesinnung ungetrübt geblieben“ war, wie Zweig die Schweiz in seinem autobiographischen Werk Die Welt von gestern beschrieb.

Kaum in der Schweiz angekommen, nahm Zweig Kontakt zu seinem alten Freund Romain Rolland, einem führenden pazifistischen Intellektuellen und Schriftsteller, und dessen Kreis auf. Am 15. Dezember 1917 trat Stefan Zweig gemeinsam mit dem französischen Dichter J.P. Jouve bei einem Leseabend in Zürich auf, was nicht nur in einem Bericht an die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Bern als „bedeutsames Ereignis“ gewertet wurde: „Seit Kriegsbeginn ist es das erste Mal, dass ein Österreicher und ein Franzose sich die Hand reichen zu gemeinsamen Werke.“ Im Anschluss an das positive Echo dieses Leseabends bemühte sich Zweig um eine Verlängerung seines Urlaubes und bewarb sich gleichzeitig auch um eine Korrespondentenstelle bei der Neuen Freien Presse. Es folgten weitere Vorträge und Leseabende in Davos, Zürich und Winterthur, über die Zweig regelmäßig an die Gesandtschaft in Bern berichtete. Dabei betonte der Schriftsteller seinem Ansprechpartner Legationssekretär von Hevesy gegenüber stets den Wert seiner Arbeit in der Schweiz „im Sinn der guten Sache“.

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Zweigs Engagement traf bei den diplomatischen Vertretern Österreich-Ungarns zwar anfangs auf viel Verständnis und einige Unterstützung, seine zunehmend offensichtlichere Hinwendung zum Pazifismus wurde aber bald kritisch kommentiert: nach dem Erscheinen eines „Bekenntnis zum Defaitismus“ betitelten Aufsatzes in der pazifistischen Zeitschrift Die Friedenswarte bemerkte der Gesandte von Musulin in einem Bericht nach Wien: „Unser Stefan Zweig in der Friedenswarte! … Propaganda macht man so nicht!“ Im Ministerium des Äußeren fand man ähnlich deutliche Worte („…kann Zweig wohl gegenwärtig nicht mehr als unser Mann bezeichnet werden...“) und forderte den Gesandten in der Schweiz dazu auf, die publizistische Tätigkeit Zweigs näher zu beobachten. Zur Not wollte man Zweig durch eine Rückgängigmachung der Enthebung aus der Tätigkeit im Kriegsarchiv „sein Handwerk zu legen“. Zweig erläuterte seine damalige Position rückblickend in der Welt von gestern sehr eindeutig: „Was man darüber in unseren Konsulaten und Gesandtschaften dachte, war uns gleichgültig, selbst wenn wir die Schiffe zur Heimkehr damit vielleicht wie Cortez hinter uns verbrannten.“ Tatsächlich blieb Stefan Zweig bis zum Kriegsende in der Schweiz, der Sinneswandel vom willfährigen Propagandisten der ersten Kriegsjahre zum Pazifisten war durch seinen Aufenthalt dort endgültig vollzogen.

Teil 1 zu "Stefan Zweig im Ersten Weltkrieg" finden Sie hier 

Andreas Titton

Signatur:
AT-OeStA/HHStA Diplomatie und Außenpolitik 1848-1918 GKA GsA Bern 92-15  - 28. Stefan Zweig, „Donauland“

Literatur:
Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (Fischer Taschenbuch 2020)