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Auf Pilgerreise in der Quarantänestation: Ein Arzt berichtet

Archivale des Monats Juli 2023

„Auf einer sandigen, kahlen nur durch spärliche Palmen belebten Fläche gelegen, die sich zwischen dem Meeresufer und den zackigen, vegetationslosen Bergen des Höhenzugs Sinai ausbreitet, bildet das Campement von Tor die beschwerlichste Etape für die von Mekka heimkehrenden Pilger.“

Die Pilgerfahrt (Hadsch/Hajj) zu den heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina gehört seit jeher zu den Höhepunkten des religiösen Lebens von Musliminnen und Muslimen. Für die europäischen Kolonialmächte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Hajj jedoch nicht nur eine religiöse Angelegenheit, sondern auch eine Herausforderung für das Gesundheitswesen. Muslime aus den kolonialisierten Gebieten Nordafrikas, des Balkan und des Kaukasus trafen während der Hajj auf ihre Glaubensbrüder und -schwestern aus dem asiatischen Raum, wo beispielsweise die Cholera noch endemisch war.

Der befürchteten Einschleppung infektiöser Krankheiten nach Europa wurde mit unterschiedlichen Maßnahmen des „containment“ und der sanitären Kontrolle der Pilgerfahrenden begegnet. Auf sogenannten Sanitätskonferenzen wurde eine Art „cordon sanitaire“ im Nahen Osten etabliert, der unter anderem die Regelung und Überwachung der Pilgerströme in Ägypten, der Levante und im Roten Meer umfasste. Ein entscheidender Knotenpunkt waren dabei die Häfen im Süden der Halbinsel Sinai, wo die Pilgernden nach ihrer Rückkehr von den Pilgerstätten der arabischen Halbinsel ankamen. Im Hafenort El Tor etwa wurde von den europäischen Mächten eine Quarantänestation betrieben, in der die Pilgernden vor der Weiterreise in ihre Herkunftsländer zur Desinfektion von Kleidung und Mitbringseln, sowie zur Durchführung von medizinischen Untersuchungen durch europäische Ärztinnen und Ärzte angehalten wurden.

Für die österreichisch-ungarische Landesverwaltung des seit 1878 besetzten Gebiets Bosnien und Herzegowina stand die Regulierung der Pilgerfahrt nach Mekka in Zusammenhang mit dem Ausbau des Gesundheits- und Hygienewesens in den neueroberten Gebieten. Ab 1890 wurden die vergleichsweise kleinen bosnischen Pilgerkontingente – durchschnittlich pilgerten etwa 100 Personen im Jahr nach Mekka – von einem Pilgerführer, dem Reis-ul-Hadzada, angeführt und von den Gesundheits- und Auslandsbehörden begleitet. Bosnische Bezirksärzte begleiteten die Pilgernden immer wieder auf der Reise, um während der Überfahrt und an den verschiedenen Zwischenstationen die medizinische Aufsicht auszuüben. Bei einer solchen Studienfahrt dokumentierte der Arzt Jakob Saidenfeld im Jahr 1902 in einem ausführlichen und reich bebilderten Bericht die Pilgerfahrt; insbesondere die Verhältnisse in der Quarantänestation El Tor. Saidenfelds ursprünglich an die bosnische Landesregierung gerichteter Report gelangte zusammen mit weiteren Berichten des k.u.k. Sanitätsdelegierten und des Sanitätsarztes in Alexandrien an das Ministerium des Äußern am Ballhausplatz.

 Der „Pilgerarzt“ Saidenfeld schilderte minutiös die Ankunft der Pilgergruppen in der „Contumaz-Station“ El Tor, die Desinfektionsmaßnahmen und medizinischen Untersuchung sowie die Unterbringung während der Quarantäne und machte Verbesserungsvorschläge. In Folge der Berichterstattung Saidenfelds wurde vonseiten des diplomatischen Agenten in Kairo, Ludwig von Velics, eine nochmalige Besichtigung und eine weitere „meritorische Prüfung“ der erhobenen Mängel der Station in El Tor durch den Sanitätsarzt Dr. Osborne angeordnet.

Der Bericht des Jakob Saidenfeld gewährt bemerkenswerte Einblicke in die Medizingeschichte und das Gesundheitsmanagement im Kontext des europäischen Kolonialismus.

Das Dokument ist als Digitalisat im Archivinformationssystem einsehbar

Andreas Titton
Signatur: AT-OeStA/HHStA MdÄ AR F50-106-1

Literatur:
- Valeria Heuberger, Die Pilgerfahrt nach Mekka von Muslimen aus Bosnien-Herzegowina unter österreichisch-ungarischer Herrschaft (1878-1914). In: Clemens Ruthner - Tamara Scheer (Hrsg.), Bosnien-Herzegowina und Österreich-Ungarn 1878-1918. Annährungen an eine Kolonie. Tübingen 2018, S. 193-210
- Christian Promitzer, Prevention and stigma. The sanitary control of Muslim pilgrims from the Balkans, 1830-1914. In: John Chircop – Francisco Javier Martinez (Hrsg.), Mediterranean quarantines 1750-1914. Space identity and power. Manchester 2018, S. 145-169
- Ausstellung: From Mecca to Sarajevo: Muslim Pilgrimage and Western Medicine. Photo Exhibition September 24 – 26 2020, University of Graz, RESOWI (Koordination Christian Promitzer)