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Verbrecheralbum – Anthropometrie – Daktyloskopie

Bericht des Gerichtadjunkten Friedrich Paul über die in Berlin abgehaltene Konferenz vom Juni 1897 hinsichtlich der Verwertung des anthropometrischen Systems Bertillons.

Archivale des Monats Oktober 2023

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts rückten die Gewohnheitsverbrecher verstärkt in den Fokus der Sicherheitsbeamten. Die zunehmende Mobilität ermöglichte es Straftätern, auch international zu agieren. Vor allem im Vorfeld der Wiener Weltausstellung 1873 war es für die Wiener Polizeidirektion daher wichtig, sich mit anderen europäischen Sicherheitsbehörden auszutauschen.

Im Jahr 1870 wurden bereits die Fotografie als polizeiliches Hilfsmittel im Wiener Sicherheitsbureau eingeführt und fotografische Ateliers eingerichtet. Die bei der Polizeidirektion Wien in so genannten Verbrecheralben gesammelten fotografischen Aufnahmen, die nach Delikten sowie nach Namen registriert wurden, sollten durch die Kategorisierung der Verbrecher der Identifikation und Abgleichung von verdächtigen Personen dienen. Mit der zunehmenden Anzahl dieser Aufnahmen wuchs jedoch das Problem der Registrierung und Archivierung. Hinzu kam, dass Täter ihre Identität wechselten, andere Namen annahmen und andere Taten begingen. So reichte ein Name mit Foto allein nicht mehr zur Identifizierung aus. Ohne ein über das Bild selbst gemachtes System war ein zweckmäßiger Zugriff schwierig bis unmöglich.

Einrichtung für die Erstellung der Fotografien nach dem System Bertillon bei der k. k. Polizeidirektion Wien

Alphonse Bertillon (1853-1914), Chef des Identifikationsinstitutes in Paris, entwickelte ein System zur Identifikation von Personen, das zunächst ohne Fotografie auskommen sollte. Er ging von der Annahme aus, dass sich bestimmte Körperteile eines Menschen nach Erreichen des 20. Lebensjahres nicht mehr merklich verändern und ordnete den menschlichen Körper in ein Identifikationssystem nach den Kopflängen klein, mittel und groß und elf Maßen ein: Körpergröße, Sitzgröße, Spannweite der Arme, Länge des Unterarms, Länge des Fußes, Länge des Unterschenkels, Länge der Finger, Breite des Kopfes, Länge der Stirn, Größe der Ohren und der Nase. Da die Fotografie jedoch bereits gut etabliert war, übernahm er auch Aufnahmen en face und en profil für seine so genannten Signalementkarten. Für die Aufnahme dieser Fotos war ein eigener ganz bestimmter Aufbau der Geräte und des Fotoapparates notwendig.

Erstellung des Bertillon’schen Profil- und en-face-Bildes auf der Visierscheibe

Dieses Bertillon’sche System der Anthropometrie wurde auf Kongressen in Rom (1885), Paris (1889) und Brüssel (1892) vorgestellt und weckte internationales Interesse. Der Gerichtsadjunkt Friedrich Paul aus Olmütz nahm als Experte für gerichtliche Fotografie im Juni 1897 bei der Polizeikonferenz in Berlin teil und lieferte einen genauen Bericht an das k. k. Justizministerium ab.

Bertillon Apparat

1899 wurde bei der Polizeidirektion Wien ein anthropometrisches Bureau eingerichtet, das unter dem Namen Erkennungsamt als Zentralbehörde ein Zentralregister eigene Signalementkarten, aber auch welche von in- und ausländischen Behörden sammeln sollte. In einer eigenen Amtsordnung wurde außerdem festgelegt, welche Häftlinge in den Strafanstalten der anthropometrischen Messung zu unterziehen seien. Die Anfertigung von Fotografien und Handschriftproben bei Eintritt und Entlassung aus den Strafanstalten war bereits etabliert, wobei die Umstellung auf das System Bertillon hier erst nach 1907 erfolgte. Die Umsetzung der Errichtung der anthropometrischen Messstationen in den Ländern gestaltete sich jedoch aufgrund der besonders notwendigen Schulung der Beamten und der hohen Fehlerquote durch Messungenauigkeiten schwierig. Auch waren jugendliche Straftäter unter 20 Jahren nicht messbar.

Bertillon hatte auf seinen Messkarten bereits Fingerabdrücke machen lassen, die jedoch noch nicht als Ordnungssystem fungierten. Nach der Jahrhundertwende etablierte sich die Daktyloskopie als verhältnismäßig einfach und kostengünstig durchzuführendes Fingerbadrucksystem in Europa, welches die Anthropometrie zunehmend ablösen sollte. Die Anfertigung von Fotos nach dem System Alphonse Bertillons blieb jedoch weiterbestehen. Durch diese Entwicklungen im internationalen Austausch der Polizei wurden Identifikationstechniken vereinheitlicht, weitere Polizeikongresse abgehalten und in späterer Folge im September 1923 schließlich die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK), Vorläufer der Interpol, in Wien gegründet.

Nicole Placz-Schuller

Bertillon Stuhl

Signatur:
ÖStA AVA Justiz JM Allgemein Signatur II/15 in gen. Vz. 9 Kt. 3882-3884

Literatur:

  • Hans Gross, Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen u.s.w. Graz 1893
  • Jens Jäger, Verfolgung durch Verwaltung. Internationales Verbrechen und internationale Polizeikooperation 1880-1933, Konstanz 2006
  • Daniel Messner, Die Erfindung der Biometrie – Identifizierungstechniken und ihre Anwendungen, 1870–1914, Diss. Univ. Wien 2015
  • Friedrich Paul, Handbuch der kriminalistischen Photografie für Beamte der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und der Sicherheitsbehörden, Berlin 1900
Visierscheibe