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Vampire? Archivale des Monats April 2020

Geschichten über Vampire gerieten seit den 1720er-Jahren stärker in den Fokus der mittel- und westeuropäischen Gelehrtenblätter. Was die (aufgeklärte) Allgemeinheit daran faszinierte, dürfte neben schaurigem Gruseln auf ein ganzes Bündel an Motiven zurückzuführen sein: das Erstaunen über die "Rückständigkeit" der betroffenen Landstriche, über die blasphemische Verkehrung zentraler Elemente der christlichen Lehre – Wiederauferstehung, körperliche Unversehrtheit der Toten ("Unverwestheit" als Zeichen für Heiligkeit) und Blutmagie – sowie die barbarischen Rituale bei der Bekämpfung der angeblichen "Vampire". Die zivilen und militärischen Zentralstellen der österreichischen Monarchie, zum Beispiel der Hofkriegsrat, aber auch regionale Behörden reagierten auf diese Geschichten und entsandten mehrfach Mediziner und chirurgisch ausgebildete Militärs, um vor Ort den Gerüchten nachzugehen. Sie sollten die angebliche Übernatürlichkeit der Phänomene überprüfen und am besten widerlegen, um die Bevölkerung zu beruhigen.

Ungefähr zur gleichen Zeit, in der Georg Tallar mit seinen Untersuchungen beauftragt wurde, hatte der kaiserliche Leibarzt Gerard van Swieten ein Traktat für Maria Theresia verfasst, in dem er anlässlich von Vampirvorkommnissen in Mähren ausführlich zum Problem der Magica Posthuma Stellung nahm. Dieses Traktat, das nicht im Original vorliegt, sondern nur als Druck in einer Rückübersetzung aus dem Französischen, veranlasste Maria Theresia, das Patent "Der Aberglaube ist abzustelle" vom 1. März 1755 verlautbaren zu lassen. Der Glaube an "Gespenster und Hexerei" wurde darin als Auswuchs volkstümlichen Aberglaubens bezeichnet, der Zuständigkeit der Geistlichkeit entzogen und den politischen Behörden zugewiesen. Das Wort "Vampir" kam in dem Patent übrigens kein einziges Mal vor und wurde seitdem von den Behörden konsequent vermieden.

Der Militärchirurg Georg Tallar untersuchte ab 1753 als Teil einer Inquisitionskommission im Auftrag der banatischen Landesadministration Vampirvorfälle in den rumänisch besiedelten Dörfern Klein Dikvan (heute Ticvaniu Mic), Sebell (wahrscheinlich Jebel bei Temesvár) und Kallatsa nördlich von Temesvár. Er war ein sehr erfahrener Chirurg, ausgebildet in Straßburg und seit über 18 Jahren bei verschiedenen österreichischen Regimentern vor allem am Balkan eingesetzt. Nach eigenem Bekunden war er bereits 1724 in Deva in Südsiebenbürgen und 1728 in Oburscha in der damals zum Habsburgerreich gehörenden Kleinen Walachei mit "vampiristischen" Vorfällen konfrontiert gewesen, bevor er im Banat tätig wurde.

Er beherrschte mehrere Sprachen, darunter Serbisch, Rumänisch ("Walachisch") und Latein, sodass er sich mit der örtlichen Bevölkerung direkt verständigen konnte. In den drei Dörfern ließ Tallar Exhumierungen durchführen und untersuchte die Leichname von innerhalb der letzten drei Monate unter "verdächtigen" Umständen Verstorbenen. Sein Augenmerk galt daneben auch Kranken, die an Fieber, Verdauungsproblemen, Blässe und Übelkeit litten, was gemeinhin als Zeichen von Vampirkontakten galt. Als er keine Bestätigung für das Vorhandensein von übernatürlichen Einflüssen fand, erweiterte er sein Tätigkeitsfeld und wandte sich den Lebensumständen und Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung zu.

Sein Bericht gehört zu den gründlichsten und detailreichsten Darstellungen der medizinischen Seite des Phänomens. Als Mediziner vertrat er das für seine Zeit typische mechanistische Modell der Körperfunktionen und führte die Krankheits- und Todesfälle auf falsche Ernährung zurück, welche die Verdauung und damit das Gleichgewicht der Säfte im Körper zerstören würden. Zusätzliche Ursachen waren für ihn schädliche Umwelteinflüsse sowie soziale und religiöse Momente. Vom Vampirwahn sei ausschließlich die rumänische Bevölkerung betroffen, die unter dem schädlichen Einfluss von "Kalugern und orthodoxen Popen" stünde, welche die Gläubigen zum eigenen Machterhalt in Unmündigkeit und wahnhafter Furcht hielten. Dazu kämen einerseits die strengen und zeitlich überzogenen Fastengebote der orthodoxen Kirche mit dem ausschließlichen Konsum gekochten oder eingelegten Gemüses, was zu Mangelerscheinungen und Auszehrung führte, während andererseits die Völlerei zu den christlichen Festen den geschwächten Körpern noch weiter zusetzte. Aberglauben und krankheitsbedingte Halluzinationen, die Behandlung der Kranken durch Einschmieren mit dem Blut ausgegrabener Kadaver von Verstorbenen, die für Vampire gehalten wurden, sorgten für eine wirkungsvolle Basis des Vampirglaubens.

Bericht Georg Tallar © OeSTA

In Georg Tallars Bericht flossen mit der detaillierten Beschreibung der Lebensumstände und Gebräuche der Bevölkerung ethnografische Elemente ein, wenn auch gefiltert durch Geringschätzung und die Wahrnehmung eines Vertreters der Besatzungsmacht, den vor allem die Abwehr einer möglichen Gefahr für die innere Sicherheit interessierte.

– Herbert Hutterer –

AT-OeStA/FHKA SUS Kur 85 (Vampire in Kapnik 1753.07.04).

Transkript des Tallar-Berichts

Visum Repertum Anatomico Chyrurgicumoder

Unterhänigst gehorsamster Summarischer Bericht. Von und überDie so genante Vampir oder Bluthsauger; Wallachischer Sprache Moroi genant. Welche Vermög einer von Löbl. Kayserl. Königl. Banathischen Landes Administration ergangenen hohen Verordnung, durch die dießfals außgeschikte Inquisitions Commission, bestehend auß Einem Theologo,Cameral, und Provincial physico, dann einem chyrurgo, in denen Wallachischen dorfschaften, als Klein Dikvan, des Uypalankaer, sodann Sebell, des Tsakovaer, Letzlichen aber zu Kallatsa des Temesvarer districts, Erstl: die von den Bluthsaugern angefochten sein sollenden haufigen Kranken auf das genau und sorgfältigste, nebstallen dabey obwaltenden umbständen seind untersuchet, ihre zustände Medicinalitèr und Chyrurgisch Tractiret, auch wo es nicht allzu spaht ware, über 80 zu voriger gesundheit seind Restituiret worden.Die kürzlich aber, auch von 1. 2. bis 3. mohnaten verstorbene, mehrentheils ausgraben Laßen, und welche der richter des dorfes, ge-schwohrne, älteste, und das Volk, vor würkliche Bluthsauger gehaltenhaben, Seciret worden. Irr und aberglauben sein deine Wurzel derschädlichen Folgerungen. Eigensinn, Furcht seind die Zweige, Verzweifelung die Früchte Die sache befindet sich folgender gestaltenVorbericht Eine unzeitige auferstehung deren toten Wallachischen Cörper, und eine dadurch entstandene gehaime Bluths außsaugung und abthötung derengesunden, ist bishero nicht allein von dem samentlichen Wallachisch, und Razischen Landvolk, sondern auch von so vihlen vernünftigen Leüthenanderer Nationen, gleich einem Evangelio geglaubet worden; durch dießen nur aus vorurtheil so vest gefaßten glauben, ist das völlige Landvolk in eine nicht geringe furcht, aus der furcht aber in einen besonderen Eigensinn, gleichsam in eine Verzweifelung gefallen, das es nicht umb andere Hülfsmittel sich beworben, sondern